Yoga & Gelassenheit oder: Warten auf Handwerker

Es ist ohnehin schwer, Handwerker zu kriegen. Aber in der Türkei ist das noch viel schwieriger. Zwar bieten sich zahlreiche „Spezialisten“ an, wenn man nach ihnen sucht. Man darf aber keine ausgebildeten Fachkräfte oder gar Meister ihres Fachs erwarten. „Machen wir, Bruder“, heißt es dagegen stets mit einem Augenzwinkern und gleichzeitigem Kopfnicken. Immer geht alles.

Wenn man einen der Dienstleister dann tatsächlich bestellt hat, geht das Warten los. „Er hat doch gesagt, er kommt Ende der Woche, oder?“ vergewissert man sich beim Lebensgefährten. Der steht am Fenster mit den Händen in den Hosentaschen und gibt nur ein „Mhm“ zur Antwort.

Es ist ja bereits Samstag und allemal Ende der Woche.

Oder war das Ende der darauf folgenden Woche gemeint? Banges Hoffen, dass dem nicht so sei. Immerhin hatte der Schreiner, auf den man gerade wartet, nach dem Ausmessen unseres Zimmers seine gesamten Notizen und die stattliche Musterpalette bei uns liegen lassen. Warum holt er sie nicht und wie kann er eigentlich eine ganze Woche ohne diese auskommen? Schließlich stehen in seinem Notizblock nicht nur die Maße unserer Schränke, sondern auch die Skizzen etlicher anderer Auftraggeber. Man fragt sich, was der Mann gerade tut. Im Teehaus sitzen? Mit der Familie in Urlaub gefahren? Hat er das Holz für unsere Schränke noch gar nicht bestellt?

Nicht ohne Stolz kann ich sagen, dass wir ganz schön entspannt sind und wissen: Alles wird gut. Wir hatten ja auch schon genügend Gelegenheiten zum Üben, seit wir das Haus vor knapp zwei Jahren gekauft haben. Außerdem sollte man emotionale Belastungen als Geschenk annehmen und als Yogalehrerin weiß ich: Im Yoga ist Gelassenheit eine der vier Säulen, die zur Erleuchtung führt.

Der Notizblock und die Musterpalette lagen zehn Tage auf unserem Garderobentisch, bis der Schreiner kam.

Nach einem Anruf am Sonntag, er käme am Abend gegen sieben Uhr vorbei, mussten wir ihn mit schlechtem Gewissen auf neun vertrösten, denn es war mein Geburtstag und wir waren gerade unterwegs zu einer Verabredung mit Freunden. Auch wenn wir uns den Abend meines Geburtstages etwas anders vorgestellt hatten und eigentlich Essen gehen wollten – Handwerker gehen vor!

Allerdings rief er dann noch mal an, dass er doch nicht kommen könne, da er am nächsten Morgen seinen Jüngsten in’s Krankenhaus bringen müsse. Er wolle dann aber ganz sicher am Abend kommen, nachdem er das Kind wieder vom Krankenhaus abgeholt habe. Ich glaubte eigentlich nicht daran und kochte am Montag schweigend das Abendessen. Wir saßen am Tisch und aßen, redeten über dies und jenes, vermieden es aber, über den Schreiner zu sprechen. Außerdem schraubt sich kaum jemand im Dunkeln den Berg hier hinauf an den Waldrand, schon gar nicht ein mit Brettern, Lamellentüren und Werkzeugen voll beladener Transporter.

Wir kauten noch, als es klingelte.

Unsere Hunde bellten, auch der des Nachbarn, der zur Hilfe eilte, als wir ihn anriefen. Man muss Handwerker doch unterstützen, wenn sie schon mal da sind! Aus dem Wagen wurden Unmengen an fertig zugeschnittenen Brettern geladen. Der erwachsene Sohn des Schreiners schleppte alles die Treppe hinauf und es schien gar nicht mehr aufzuhören. Herr Vater stützte sich währenddessen seelenruhig mit den Unterarmen auf die Brüstung im Treppenhaus und sah aus, als plane er gerade eben erst den Zusammenbau der Möbel. Als ich ihn beim Heraufkommen so stehen sah, blieb ich wie angewurzelt auf der Treppe stehen und murmelte rasch, dass der Nachbar zur Hilfe unterwegs sei und machte lieber schnell kehrt.

Nach endlos scheinender Schlepperei hiefte der hagere Sohn zu guter Letzt auch noch einen riesigen Kompressor ächzend die Marmortreppe hinauf. Mein Lebensgefährte verteilte oben bereits seit einer halben Stunde Bier und die Stimmen wurden immer lauter. Ich saß derweil mit einen unserer beiden Hunde auf dem Sofa, streichelte den ausgeglichenen Rüden ein bisschen hektisch und verstand aus dem laufenden Fernseher kein Wort mehr.

Ein allerletztes Stück Schrankrückwand zog der Sohn des Schreiners in der Dunkelheit aus dem offen stehenden Transporter, und dann höre ich ihn beim Hinaufsteigen seinem Vater zurufen: „Papa, der Hund hat Dein Kissen aus dem Auto geholt und es in die Büsche geschleppt“. Die Belustigung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Der Vater brach in schallendes Gelächter aus, als er den Sohn vernahm. Alle lachten. Da reagiert jemand mit wahrer Gelassenheit; das Wort hat ja auch zu tun mit „Loslassen“ oder „Lassen“. Ein Beispiel könnte man sich daran nehmen und ab und zu feste Vorstellungen loslassen davon, wie und wann etwas zu sein hat.

Die Schränke stehen wie geplant und sehen fantastisch aus.

Wie der Schreiner das ohne seine notierten Maße gemacht hat, die er seinerzeit bei uns vergessen hatte, ist mir unerklärlich. Zwar fehlen noch die Griffe und die Kleiderstangen, aber die wird er in ein paar Wochen auch noch bringen. Außerdem geht es auch so – schließlich haben wir bis vor ein paar Tagen noch aus dem Koffer gelebt!

Das Kissen des Schreiners, auf welches er wohl für so manches Nickerchen unter einem Olivenbaum sein Haupt bettete, liegt noch immer im Gras. Unsere junge Hündin, die bis vor kurzem noch sich selbst überlassen auf der Straße gelebt hat, sammelt manchmal etwas ein und trägt es an ihren alten Stammplatz, eine Anhöhe vor dem Haus. Für schlechte Zeiten vielleicht, man weiß ja nie. Sie schläft dann aber mal lieber bei uns auf dem Sofa.

Heute ist heute, und morgen ist morgen.

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Kategorisiert in MIND

Von Kathleen Schwiese

Kathleen hat von jeher eine große Leidenschaft für die Bewegung. Nach Absolvierung zahlreicher Ausbildungen machte sie sich als Personal Fitness Coach selbständig und hat als ausgebildete Entspannungstrainerin in Top-Konzernen gearbeitet. Sie hält als Referentin für Burn-out-Prävention mehrmals im Jahr Seminarwochen in Sizilien. Seit Jahren leitet sie Yoga & Pilates-Retreats. Vielfältige Erfahrungen mit Menschen konnte sie in der Tourismusbranche gewinnen, in der sie sieben Jahre für renommierte Hotels und Clubs rund um die Welt als Trainerin und Koordinatorin von Fitness, Yoga & Spa tätig war. Im Jahr 2014 zog sie an die türkische Ägäisküste und hat vor kurzem das Event, Yoga & Fitness-Management eines exclusiven Boutique-Hotels übernommen. Gerade eröffnete sie ihre eigene Ausbildungsakademie für Yoga-, Pilates- und Entspannungstrainer und widmet sich zunehmend dem Schreiben.

2 Kommentare

  1. In der Türkei zählt: Leistung fordern, ohne zu überfordern:)) Die Improvisationskunst vom Vater wird übrigens auch sicherlich dem Sohn weitergelehrt. Wie eine Darstellung einer bekannten Szene habe ich mit Grinsen deinen Beitrag gelesen. Hier wirst du keinen Mangel zum Praktizieren der Gelassenheit empfinden. Am besten lassen wir die Erleuchtung ruhig näher treten. Liebe Grüße, Fadime

  2. Ein wunderbarer Beitrag! Er zeigt so super, in welchen Bereichen wir uns alle noch entwickeln können. Die sonnige, mediterrane Gelassenheit und das Vertrauen darin, dass alles gut wird (auch ohne den Block mit den Notizen) fehlen uns in unserem durchorganisierten und oftmals viel zu voll gepackten Alltag sehr. Danke dafür – ich freue mich auf mehr, alles Liebe, Stella

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